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Pfingsten – Die vergessene Dimension Gottes: der Heilige GeistAn Pfingsten wird an die Ausgießung des Heiligen Geistes erinnert. Viele Christen haben jedoch Probleme an diese Person der Trinität zu glauben. Theologieprofessorin Dorothea Sattler erklärt im Gespräch mit katholisch.de, warum das so ist und wie man das Wirken des Geistes erkennen kann.

Theologie | Münster - 05.06.2017

Frage: Warum ist der Heilige Geist eine vergessene Dimension Gottes?

Dorothea Sattler: Ein Grund dafür ist, dass die Bildgestalt des Heiligen Geistes weniger personal geformt ist als zum Beispiel bei Jesus Christus. Jesus kam als Mensch in die Welt, er lebte bei den Menschen. Von einem Menschenleben haben wir eine Anschauung. Sich den Heiligen Geist konkret vor Augen zu führen, fällt viel schwerer. Diese Unanschaulichkeit des Heiligen Geistes ist eine Ursache dafür, dass die Vorstellung von der Wirksamkeit Gottes im Heiligen Geist oft in den Hintergrund tritt.

Frage: Der Heilige Geist ist kein eigenes Wesen, sondern Gott selbst…

Sattler: Ja, das ist sehr wichtig. Es gibt keine Unterschiedenheit oder Abstufung, keine Über- oder Unterordnung in der Dreieinigkeit Gottes. Der Heilige Geist wird in seiner Göttlichkeit in gleicher Weise verehrt wie der Vater und der Sohn – so sprechen wir auch im Großen Glaubensbekenntnis: Der Geist wird wie der Vater und der Sohn angebetet und verehrt.

Frage: Aber es gibt doch einige biblische Bilder für den Heiligen Geist?

Sattler: Der Heilige Geist wird symbolhaft mit der Taube, dem Feuer, dem Sturmwind oder dem Atem beschrieben. Diese Vielfalt der Bilder macht es nicht einfacher, sich konkret vorzustellen, wer genau dieser Heilige Geist ist. Die Lehrtradition denkt abstrakter in den Vorstellungen und ist daher vielleicht eindeutiger. Sie versucht die erinnernde Kraft des Heiligen Geistes wach zu halten. Der Heilige Geist erinnert an das Christus-Ereignis. Jesus wurde Gott in menschlicher Gestalt und Jesus wusste, dass sein irdisches Leben zu Ende geht. Daher brauchte er eine kraftvolle Energie, durch die er im Gedächtnis der Menschen bleiben kann. Diese Kraft, das Gedächtnis an Jesus Christus zu bewirken, ist der Heilige Geist. Nach dem liturgischen Festkalender leben wir nach Christi Himmelfahrt in der Zeit des Geistes Gottes. Der Geist erinnert uns an das Christus-Geschehen. Dank des Heiligen Geistes denken wir noch an Jesus Christus. Wir erinnern uns an ihn. Der Geist erinnert uns an Jesus Christus und verwandelt uns zugleich: Wir können werden wie er: friedfertig, versöhnungsbereit, offen für alle.

Frage: Es gibt Darstellungen, auf denen der Heilige Geist weiblich dargestellt wird. Was halten Sie davon?

Sattler: Ich finde diese Bildtradition als Irritation unserer Gedanken sehr wichtig. Gott ist weder Mann noch Frau. Offenkundig gelingt es in weiblichen Darstellungen von Gott leichter die grundlegende Einsicht in die größere Unähnlichkeit im Vergleich zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen zu vermitteln. Wenn Gott eine Frau sein soll, dann handelt es sich um ein Bild mit der theologischen Absicht, Gottes Geist in seiner Wesenheit jenseits von Geschlechtlichkeit zu beschreiben. Er oder sie ist weder Mann noch Frau. Im Alten Testament findet sich die weibliche Anrede "ruach" für die göttliche Geisteskraft. Ich finde es an dieser Stelle wichtig, die Wirksamkeit des Geistes mehr zu betonen als seine Geschlechtlichkeit. Aber man kann ja auch von erinnernder Kraft sprechen, weil damit deutlich wird, dass Gott nicht auf irgendeine männliche Gestalt festgelegt ist. Er überrascht uns immer wieder neu.

Dorothea Sattler ist Professorin für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Münster. Benedikt Plesker

Frage: Woran merkt man, dass der Heilige Geist am Werke ist?

Sattler: Immer dann, wenn ein Mensch sich zum Guten hin verändert, oder sich anrufen lässt durch die Kraft der Liebe, wenn Verwandlung, Umkehr spürbar ist, dann ist Gottes Geist wirksam. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, sich im Alltag immer wieder neu darauf einzulassen. Wir können der Kraft der Liebe und der Barmherzigkeit vertrauen. Immer wenn das Gute geschieht, immer dann, wenn Menschen sich zum Guten bewegen lassen, dann ist der Geist hintergründig wirksam. Der Geist ist der, der verwandelt. Der Geist Gottes ist die Kraft, die verändert und zum Aufbruch ermutigt. Ein Bild dafür ist zum Beispiel das Feuer. Es zerstört nicht nur, es erneuert auch und verwandelt so. Oder das Bild der Taube, die eine neue Botschaft bringt. Die Bilder, die für den Heiligen Geist gefunden wurden, sind immer allesamt Bilder, die eine Verwandlung, eine Besserung andeuten. Als Christen sind wir erlöste und zugleich auch verwandelte Menschen. Wir sind erlöst von der Möglichkeit, dass Gott uns angesichts der Sünde im ewigen Tod hätte belassen können. Im Wissen um die Sündigkeit aller Menschen sind wir berufen zu einem Leben in Liebe – in der Kraft des Heiligen Geistes.

Frage: Jetzt berufen sich aber auch charismatische Gemeinschaften auf den Heiligen Geist und betonen die "Zungenrede". Was halten Sie davon?

Sattler: Die heutigen Pfingstbewegungen sehen in der Zungenrede eine Gebetsform, die die besondere Unmittelbarkeit des Betens zu Gott betont. Nach dem Neuen Testament ist die Zungenrede, die Glossolalie, eine Gnadengabe des Heiligen Geistes, ein sogenanntes Charisma. Es ist biblisch gut überliefert, dass es Menschen gibt, die die Gabe der Glossolalie haben. Von biblischer Zeit an werden einzelne Aspekte kritisch betrachtet, denn es geht dabei nicht allein nur um eine erbauliche Erfahrung von einzelnen Menschen. Zur Bestimmung der Echtheit der Zungenrede gibt es ganz klare Kriterien. Ein Kriterium ist zum Beispiel, ob diese Rede der Gemeinschaft dient oder sich nur einzelne Personen damit hervortun wollen. Biblisch gesehen muss durch ein solches Zeugnis immer die gesamte Gemeinschaft gestärkt werden. Es kann niemand sagen, wie eine Geistbegabung genau aussieht, aber der innere Sinn bei der Berufung auf Gottes Geist kann nur sein, dass die Gemeinde aufgebaut und nicht gespalten wird. Es geht darum, dass Menschen durch gute, durch Gottes Geist gewirkte Worte getröstet werden, sie dadurch mehr Zuversicht im Leben gewinnen. Bei dieser geistgewirkten Rede ist der Rückbezug zu Jesus Christus ganz naheliegend, denn Jesus Christus war ein Versöhner und keiner, der entzweite.

Frage: Es gibt verschiedene Gaben des Heiligen Geistes, welche finden Sie am wichtigsten?

Sattler: In der biblischen Tradition unterscheidet man sieben Gaben des Heiligen Geistes, durch die das Wirken des Heiligen Geistes bei den Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Das sind Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Bei all den genannten Gaben handelt es sich um gute Gaben Gottes. Als Theologin ist mir die Gabe der Einsicht besonders wertvoll. In der gegenwärtigen Zeit ist es sehr wichtig, das christliche Bekenntnis argumentativ zu begründen. Einsicht bedeutet für mich: Zusammenhänge erkennen können und Gründe wissen, warum ich überhaupt als Christin lebe. Das heißt auch, selbstbewusst Christin zu sein und es vor anderen Menschen zu bezeugen. Wenn ich meinen Glauben vorlebe, werde ich zur Glaubenszeugin für andere. Darum geht es beim Wirken des Heiligen Geistes. An Pfingsten sind ängstliche Menschen – immerhin die versammelten Apostel mit Maria in ihrer Mitte - zu öffentlich bekennenden Menschen geworden. Wir brauchen im Gespräch der Religionen klare Einsichten in die eigenen Überzeugungen.

Die Dreifaltigkeit wird oft sehr bildlich dargestellt: Gottvater in der Person eines Greises, Jesus Christus als junger Mann und der Heilige Geist in der Gestalt einer Taube. Renáta Sedmáková/Fotolia.com

Frage: Warum ruft man an Pfingsten den Heiligen Geist besonders an?

Sattler: Wir spüren alle immer wieder, dass es Verwandlung und Veränderung im eigenen Leben braucht. Manchmal geht es nur um eine veränderte Sicht auf die Welt oder auf mein Leben. Es braucht diese Kraft der Verwandlung Tag für Tag. Und dann kann es schon mal ganz konkret werden. Dann spüren wir diese Kraft des Heiligen Geistes mitten im Leben. Neue Wege sind dann möglich. Wenn das Starre aufbricht, wenn das, was niedergedrückt ist, sich wieder aufrichtet, wenn sich neue Möglichkeiten auftun, dann wirkt das Göttliche. Daher rufen wir den Heiligen Geist an, damit er uns stärkt und ermutigt.

Frage: So einfach geht das?

Sattler: Nein, das Leben ist nicht einfach. Letztendlich bleibt nur das Gebet: Wir halten darin Ausschau nach Gott. Die Erhörung im Gebet steht offen. Wir wissen nicht, was in Zukunft geschieht. Wir machen uns als Glaubende fest an der Hoffnung, dass Gott wirkt, und er es uns erspüren lässt. Es gibt Menschen, die erfahren, dass sie plötzlich ganz neue Möglichkeiten haben, die zu ergreifen sie aus eigenen Kräften nicht in der Lage wären. Manchmal spüren wir selbst, dass es eine Kraft gibt, die außer uns liegt. Oft braucht es für Veränderungen einen langen Atem. Wenn man sich für diese Möglichkeit öffnet, dann kann man vorab bereits dankbar und lobpreisend beten. Dann ist der Heilige Geist bereits tätig und führt uns auf neue Spuren im Leben. Ich erfahre die Wirksamkeit des Geistes Gottes vor allem in der Situation des Aufwachens, in der mir die Lasten des Alltags bewusst werden. Die Anrufung des Heiligen Geistes in dieser Situation bewirkt den Neubeginn, das Aufstehen in Zuversicht und Tatkraft. Die Gabe des Geistes ist immer eine Gabe gegen die Versuchung zur Resignation, zur Abgrenzung, zur Habgier, zur Feindschaft. Christlich zu leben ist sehr anstrengend. Es kostet Tag für Tag das Leben – wir geben es hin, wir lassen uns verzehren aus Liebe für Andere. Darin finden wir Freude am Leben.

Frage: Sie vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes?

Sattler: Ja, ich vertraue auf die Kraft des Heiligen Geistes, denn er ist der Erneuerer und Verwandler, der zu Umkehr ruft und uns zugleich an Jesus Christus erinnert. Daher ist mir die Pfingstsequenz auch sehr nahe. Darin findet sich genau diese Vorstellung, die ich meine: Gottes Geist wird in meinem Leben tätig, er tränkt die Dürstenden, er bestärkt die Suchenden; er ist die verwandelnde Kraft in meinem Leben. Gottes Geist verheißt Leben noch im Tod.

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